Agrarpolitik
Agrarpolitik
Unsere Mitglieder setzen sich für eine Agrarpolitik ein, die eine produzierende Landwirtschaft und eine starke erste Stufe der verarbeitenden Lebensmittelindustrie ermöglicht. Beide sind gleichberechtigte Partner.
Die Ursprünge von primavera
Der Bundesrat hatte am 1. November 2017 seine Gesamtschau zur Weiterentwicklung der Agrarpolitik veröffentlicht. Er wollte damit letztlich einen Grenzschutzabbau anstreben, der die Preisdifferenz zwischen dem In- und Ausland um 30 bis 50% reduziert. Am 5. September 2018 revidierte der Bundesrat in einem Zusatzbericht zu der erwähnten Gesamtschau seine Zielsetzung vollkommen: Die Reduktion der grenzschutzbedingten Preisdifferenz um 30 bis 50% sei "aus heutiger Sicht nicht realistisch." Diese Aussage freute all die Kritiker der ursprünglichen Absicht, erstaunte aber noch mehr: Kein Jahr nach der ursprünglichen Aussage sollte die Welt offenbar doch anders aussehen, als der Bundesrat damals gedacht hatte.
Vorsicht ist angebracht
Der Bundesrat klammerte laut dem Zusatzbericht zwar Anpassungen beim Grenzschutz zwecks Ausweitung der grenzüberschreitenden Handelsbeziehungen von der Agrarpolitik aus. Gleichzeitig hält er aber weiterhin daran fest, dass das Angebot der Land- und Ernährungswirtschaft am Markt orientiert sein soll. Das Marktpotenzial soll im In- und Ausland ausgeschöpft werden können, indem sich Schweizer Produkte schwergewichtig im Hochpreissegment positionieren sollen, insbesondere in Ländern mit hohem wirtschaftlichem Wachstum und einer entsprechend zunehmenden kaufkräftigen Bevölkerung.
Freihandelsabkommen oder der Abbau des Grenzschutzes sind damit keineswegs vom Tisch, wie man glauben könnte. Das mit Indonesien abgeschlossene Abkommen ist dafür ein gutes Beispiel. Die Idee, aus dem Massen- ins Nischengeschäft zu wechseln oder Spezialitäten teuer zu verkaufen, mag für Käse, Schokolade und Biskuits eine gewisse Berechtigung haben. Bei Rohstoffen wie Ölsaaten, Mehl und Kartoffeln, wie unsere Mitglieder sie verarbeiten, und den daraus hergestellten Produkten wird das hingegen kaum funktionieren. Es gilt deshalb, weiterhin wachsam zu sein und unsere Branche und ihre Mitglieder stark und einig zu vertreten.
Weiteres Beispiel: Studie zum Grenzschutz
Der Bundesrat hatte 2020 den Bericht "Einfluss des Grenzschutzes auf die der Landwirtschaft vor- und nachgelagerten Branchen und Industrien" verabschiedet. Der Bericht wurde im Zusammenhang mit einer umfangreichen Evaluation des Grenzschutzes bestehend aus zwei Studien und einem kommentierenden Papier veröffentlicht.
Nach Auffassung des BLW zeigen die Resultate, dass – obwohl das Grenzschutzsystem zwar teilweise effektiv ist – hohe Kosten und grosse Ineffizienzen damit verbunden sind. Der Grenzschutz kann nur partiell dazu beitragen, die Ziele der Bundesverfassung zu erfüllen. Das heutige Grenzschutzsystem trägt zwar zu stabilen und hohen inländischen Preisen bei, es führt jedoch zu Ineffizienzen, Fehlanreizen und Rentenbildungen in der Wertschöpfungskette. Im Fokus der neuesten Studie steht dabei ein "dominanter vertikal integrierter Marktakteur, der zudem auch auf den der Landwirtschaft nachgelagerten Stufen aktiv ist und als Genossenschaftsverband auftritt".
Die Studie wird von primavera zurückgewiesen. Sie lässt ausser Acht, dass gut zwei Drittel der Vorleistungen keinen Grenzabgaben unterliegen und deshalb keinen Einfluss auf hohe Preise oder angebliche Rentenbildungen haben können. Im Übrigen werden häufig Vorleistungskosten mit nachgelagerten Preisen vermischt und Zollansätze verschiedener Güter im Kontext falsch gewählt.
AP 22+: Sistiert
Das WBF hatte 2020 die Botschaft zur AP22+ verabschiedet. Diese positionierte die Landwirtschaft so, dass den Anliegen der Bevölkerung Rechnung getragen wird. Die Effizienz der Betriebe hätte gestärkt und die Umweltbelastung sowie der Verbrauch von nicht erneuerbaren Ressourcen weiter reduziert werden sollen. Die Botschaft zur AP22+ enthielt auch ein Massnahmenpaket als Alternative zur gescheiterten Trinkwasserinitiative. Wegen der vorgesehenen Ökologisierung sah die Botschaft einen Rückgang des Selbstversorgungsrades vor. Der Bruttoselbstversorgungsgrad mit Lebensmitteln sollte im Jahr 2025 in der Schweiz noch 52% betragen.
Der Schweizer Bauernverband SBV stellte deshalb den Antrag, die Vorlage sei zur Überarbeitung an den Bundesrat zurückzuweisen. Am 21. August 2021 beschloss die WAK-S mit 6 zu 4 Stimmen bei 1 Enthaltung die Sistierung der AP22+ und verabschiedete ein Kommissionspostulat zur zukünftigen Ausrichtung der Agrarpolitik, das der Bundesrat mit einem Bericht bis spätestens 2022 zu erfüllen habe. Der Ständerat folgte seiner Kommission. Der Zahlungsrahmen für die Jahre 2022 bis 2025 in der Höhe von 13 774 Millionen Franken wurde hingegen freigegeben. Diesen Entscheiden folgte die WAK-N am 2. Februar 2021, was der Nationalrat danach bestätigte.
Das BLW hat nun eine Arbeitsgruppe eingesetzt, welche die im Kommissionspostulat aufgeworfenen Fragen beantworten soll. primavera ist Mitglied in dieser Arbeitsgruppe und setzt sich darin für die Interessen der Mitglieder und der gesamten ersten Verarbeitungsstufe im Bereich der Lebensmittel ein. Affaire à suivre !
Bericht zu den Postulaten
Der Bundesrat hat am 22. Juni 2022 in Beantwortung der Postulate 20.3931 und 21.3015 einen Bericht zur zukünftigen Ausrichtung der Agrarpolitik vorgelegt. Dieser behandelt acht Prüfaufträge, die nicht nur die Landwirtschaft, sondern das gesamte Ernährungssystem betreffen. Zudem sollen mit dem Bericht langfristige Perspektiven für die Schweizer Landwirtschaft geschaffen werden. Mit der strategischen Ausrichtung der zukünftigen Agrarpolitik sollen die verfassungsmässigen Ziele gemäss Artikel 104 und 104a der Bundesverfassung (BV) unter den künftigen Rahmenbedingungen besser erfüllt werden als bisher. Es handelt sich somit um eine Gesamtstrategie, die über den Zeithorizont der AP22+ hinausgeht.
primavera war in der Begleitgruppe des Bundesamts für Landwirtschaft aktiv involviert und hat an drei Workshops an der Erstellung des Berichts mitgewirkt. Der Bericht geht in die richtige Richtung und wird begrüsst, auch wenn er im Hinblick auf die Umsetzung da und dort noch justiert werden muss. Mehr dazu in der Medienmitteilung vom 30. Juni 2022.